Beim Rat Distortion Pedal scheiden sich die Geister. Optik und technische Specs schieben es klar in die Punk und Schwermetall Ecke. Blueser und Rock Genre Liebhaber rümpfen die Nase, wenn der Name ProCo Rat nur ansatzweise erwähnt wird. Vorurteil oder schlummern in dem kleinen schwarzen Kästchen ungeahnte Sound Spezifikationen, die verkannt werden. Ich bemühe mich um Aufklärung. Mein erstes Pedal überhaupt war Mitte der 80er ein Ibanez Tubescreamer TS9, der mir eine überschaubare warme Zerre in einen Yamaha Transistor Amp zauberte und ich war glücklich, gefolgt von der legendären Proco Rat, das mir den Wunsch nach mehr Verzerrung und rotzigerem Sound erfüllte und neue Welten öffnete.
Beide Kandidaten erblickten nahezu zeitgleich Ende der 70er Jahre das Licht der Welt, bedienten allerdings völlig unterschiedliche Musiker Genres.
Während der TS einen weichen, Röhren-ähnlichen Ton produzierte, bot die Ratte einen härteren Distortion Sound mit jeder Menge Gain. Das kam dem Wunsch der aufkommenden New Wave of British Heavy Metal Scene aus England Anfang der 80er sehr entgegen, die das Pedal gerne vor ihre Marshall Full Stack Amps platzierten und so ihren brachialen Ton freien Lauf ließen. Aber nicht nur die Schwermetall Fraktion war angetan vom Ton des Pedals, selbst Welt bekannte Gitarristen wie David Gilmore, Jeff Beck oder The Edge (U2) versuchten sich an dem schwarzen Kästchen und konnten es in ihr Sound Reportoire integrieren.

Was aber macht jetzt die Rat Schaltung so besonders?

Der Pedal Markt Ende der 70er war sehr überschaubar. Bis auf den Tubescreamer, das Boss OD-1 und einige Fuzzes gab es wenig Möglichkeiten, dem Amp externe Sound Erweiterungen anzubieten. Beide genannten Soft Clipping Schaltungen geben eben wie schon beschrieben, einen eher weichen warmen Ton von sich. Fuzzes haben mit ihrer Transistor Schaltungen nochmal eine eigene Klangnote.
MXR hatte Anfang der 70er bereits das Distortion+ Overdrive Pedal, später kam Boss mit dem DS-1 dazu. Beides Hard Clipping Schaltungen mit einem deutlich raueren, aggressiveren Sound.
Die Rat setzt da noch einen drauf und bietet mit seinem Hard Clipping Layout soviel Gain, dass sie bis ins Fuzz Territorium reicht.

ProCo Rat Geschichte

ProCo Rat Entwickler Scott Burnham und Steve Kiraly aus Kalamazoo Michigan USA entwickelten den ersten Rat Prototyp 1978, nachdem Musiker sich an sie wandten, mit dem Wunsch nach einem Verzerrer mit dichterer, aggressiverer Gain Struktur, um ihre Amps zu befeuern. Von dem Prototyp wurden in der ersten Serie gerade mal 12 Stück in Handarbeit gebaut.
Die Nachfrage nach dem Pedal war so groß, dass zwischen 1979-1981 die erste Serienfertigung der "Big Box" Rat gebaut wurde.
1981 kam die zweite Big Box Serie mit kleinen Veränderungen auf den Markt.
Das Tone Poti hieß jetzt Filter und hatte einen umgekehrten Regelweg! Je weiter das Poti aufgedreht ist, desto dunkler wird der Ton.
Seit 1984 ist die Schaltung in einer kleiner schwarzen Blechbox untergebracht und ist optisch bis heute so geblieben.
Erst Ende der 90er bekam die Rat eine LED, die rot aus dem "A" bei Aktivierung leuchtet.
Bis 2002 wurden die legendären Motorola LM308 Chips mit ihrem unverwechselbarem Klang verlötet, ab 2003 die neueren Chips von Texas Instruments OP07CP oder Op07DP verbaut. Dazu später mehr. Seit 2008 werden die Pedale in China gefertigt und sind in zig Variationen erhältlich, z.B. Rat2, Turbo Rat, You Dirty Rat, Lil Rat etc.. Das technische Layout bleibt in der Basis immer dieselbe, variiert mit verschiedene Clipping Variationen oder Bass Anpassungen.
Lange Zeit wurden für die Stromversorgung der Pedale ,die auch mit 9V Block Batterien betrieben werden können, 3,5mm Mini Klinkenbuchsen verbaut, was die Verkabelung mit anderen Pedalen schwierig gestaltete und meist nur mit Adaptern umsetzbar war, oder ein eigenes Netzteil von Nöten machte. Zum Glück sind die heutigen Produktionen der Ratte mit aktuell gängigen 9V DC Buchsen aka Boss ausgestattet.
Dafür waren in der Rat als eines der ersten Zerr Pedale, schon früh True Bypass Fussschalter verbaut.
Erfreulich ist der bis heute erstaunlich günstige Preis von unter 100 Euro für das Pedal.

Meine Interpretation

Leider habe ich irgendwann in geistiger Umnachtung meine Original Ratte aus den Anfang 80er verkauft. Keine Ahnung wieso und an wen. Das trifft auch auf meinen alten TS9 zu. Wer eins der Pedale zufällig in seinem Sortiment hat kann sich ja mal melden! Kleiner Scherz.
Ich habe im Netz einen Schaltplan gefunden, der eine 1986 Rat 1:1 widerspiegelt. Alle Bauteile auf der Platine sind Standard Elektronik und kostengünstig zu erwerben, bis auf den Chip LM308, der in den ersten Rats verbaut war. In den neueren Versionen ist ein Texas Instruments OP07CP oder Op07DP verbaut, der heute handelsüblich und preiswert zu erwerben ist. Ähnlich wie beim Tubescreamer gibt es auch reichlich Diskussionsstoff um "den richtigen Chip" in der Schaltung. Ich wollte unbedingt so nahe wie möglich den Original Ton reproduzieren und habe bei Banzai Music Germany zwei "Original LM308AN" aus alten Lagerbeständen mit Prüfzeichen für je 6,14€ bestellt. Das ist viel Geld für einen kleinen Chip, der in den späten 70ern hoch modern und für medizinische Elektronik zum Einsatz kam, heute kaum mehr Verwendung findet. Was soll's, der Chip sprengt jetzt nicht den Preis Rahmen und ein Versuch war's wert.
In der klassischen Ur-Rat sind 2 Stück 1N914, später 1N4149 Silizium Dioden, die maßgeblich den Zerrton des Distortion Pedals kreieren. Beide Kandidaten sind in den Specs sehr ähnlich und ich habe mich für die neueren 1N4149 Dioden entschieden, die auch in unzähligen Overdrive Layouts verbaut sind und ihren Dienst vorzüglich leisten. Zunächst wollte ich es auch bei der Original Schaltung belassen, bis ich bei meiner Recherche auf Rat Versionen mit unterschiedlichen Clipping Variationen gestossen bin. Die "Turbo Rat" arbeitet mit 2 roten LEDs in der Clipping Stufe, die "You Dirty Rat" mit 2 Germanium Dioden. Ich entschied mich kurzerhand alle 3 Ratten in einem Gehäuse mittels 3 Position Toggle Switch zu vereinen.
Tatsächlich macht das Clipping in einer Overdrive/Distortion Schaltung einen erheblichen Teil des Sounds und der Zerrstruktur aus, nicht umsonst bieten viele Pedal Manufakturen ihre Pedale heute mit schaltbaren Clipping Stufen in allen erdenklichen Kombinationen, wie z.B. das Friedman Gold Pearl an.

Ich habe mich für folgende Clipping Variationen entschieden.
3 Position Toggle Switch:
1: 2 Stück 1N4148 Silizium Dioden
2: 2 Stück rote LED
3: Stück Germanium Dioden 1N34A

Die beiden 1N4148 haben den klassischen Rat Ton, aggressiv, klar in der Zerrstruktur mit ordentlich Punch.
Super für harte Staccato Riffs. Der klassische Rat Ton.
Schaltet man auf Position 2 aktiviert man die beiden roten LEDs, die übrigens bei jedem Anschlag der Saiten rot aufleuchten, ist der Sound noch offener, dynamischer und klarer, eher im Charakter wie ein klassischer Booster.
Die Lautstärke nimmt auch etwas zu.
In Position 3 arbeiten 2 Stück 1N34A Germanium Dioden die zunächst das Level deutlich nach unten schieben und ich das mit dem Volume Poti des Pedals erstmal korrigieren muss, um auf die Lautstärke der beiden anderen Schalter Positionen zu kommen.
Das liegt in der Natur der Germanium Dioden die mit ihrer geringen Forward Voltage von 0,3V eben deutlich unter Silizium 0,7V und roten LED 1,8V liegen.v Der Ton ist sehr weich und smooth im Anschlag, hat einen Röhren-ähnlichen "SAG" im Anschlag und komprimiert deutlich stärker. Erinnert tatsächlich etwas an einen Tubescreamer, noch mehr allerdings an ein Wah Pedal, das in einer festen Position eingestellt ist, mit seinem leicht kehligen Unterton.
Allein die Möglichkeit, der 3 Clipping Variationen sind schon großartig und bieten ein breites Spektrum an Sounds von Boost über Drive bis zu High Gain Distortion.
Zu erwähnen ist in dem Zusammenhang, dass die Clipping Dioden generell stärker ins Geschehen eingreifen, je höher Gain und niedriger Volume eingestellt sind. Volume auf 100%, Gain im unteren Bereich bringt die Clipping Variationen deutlich näher zusammen. Ausnahme Germanium Dioden, die immer eine Volume Drop verursachen und extrem weich klingen.

Kommen wir zum sagenumwobenen LM308 Chip, die der Maschinerie der Rat Leben einhaucht

Dazu habe ich folgendes im Netz gefunden:
"Der damals moderne Chip aus der Medizin "Motorola LM308" hat eine niedrige Slew-Rate (Max. Anstiegs-Abfallgeschwindigkeit der Ausgangsspannung). Durch seine Trägheit kann er Frequenzen oberhalb von 5,3 KHz nicht mehr ordentlich verarbeiten und beeinflusst somit merklich den Sound der Verzerrung"
Ich habe eine Mooer Black Secret Rat mit SMD LM308 Chip und eine DIY Rat von Musikding mit OP07 Chip zum direkten Vergleich.
Grundsätzlich klingen alle 3 Pedale sehr ähnlich mit feinen Unterschieden, die ich so beschreibe: Meine DIY LM308AN Chip Rat ist etwas voller im Lowend Bereich, und hat einen Tick weicheren "chewy" Anschlag. Sie klingt größer und breiter ist etwas lauter und hat diesen Vintage Vibe im Ton. Die oberen Mitten passen gut ins Klangbild und sind nicht so aufdringlich, wie bei den beiden anderen Rats. Beim direkten Vergleich habe ich in die Schalter Position 1 mit den beiden 1N4148 Dioden geschaltet.
Die Mooer Black Secret Rat ist da nah dran, allerdings insgesamt etwas nüchterner und kleiner im Sound.
Die Musikding OP07 Chip Rat klingt kühler, ist etwas schlanker in den Mitten mit dem typischen mid scooped Distortion Sound eines z.B. Boss Metallzone. Das Mittenspektrum ist auch penetranter und man möchte das Filter Poti immer zurückdrehen, bekommt das aber nicht wirklich fein dosiert in den Griff. Da schwingt immer etwas harsches mit.
Das sind marginale Unterschiede, die nur im direkten Vergleich hörbar sind.
Je länger ich zwischen den Pedalen hin und her schalte, desto mehr spüre ich, dass der langsamere LM308 Chip das Spielgefühl merklich beeinflusst und der etwas weichere Anschlag mir eher entgegen kommt. Das Pedal klingt insgesamt schön kompakt, als wenn ein Kompressor davor geschalten wäre.
Clean Up, soweit man davon reden kann, ist bei der LM308 auch stärker ausgeprägt. Die anderen beiden Kandidaten, werden da schnell sehr dünn und grell.
Generell greift die Rat deutlich in den Grundton des Gitarre-Amp Setups ein. Sie macht den Sound dichter, komprimierter und betont ähnlich dem TS die Mitten allerdings mit einem aggressiven Unterton. Die Dynamik ist stark begrenzt, ein Spiel mit dem Vol Poti der Gitarre ist nur begrenzt möglich.
Dafür bekommt man vom Pedal jede Menge charakterstarke Zerre und Sustain mit einem Schuss "fixed Wah".
Interessant zu erwähnen ist auch die Tone Poti Schaltung "Filter", das einen passiven Lowpass Filter mit breitem Wirkungsbereich bietet.
Während die ersten Rat Pedale den Regelweg der Tone Potis im Uhrzeigersinn von dunkel nach hell auslegten, hat sich Proco warum auch immer entschieden, spätere Pedale mit umgedrehter, gegen den Uhrzeigersinn regelbaren Tone Potis auszustatten. Das ist gewöhnungsbedürftig. Zudem ist der Ton von 25-100% eher dunkel gehalten und nimmt schlagartig ab 24-0% zu. Das heißt im ersten Viertel ist viel Fingerspitzengefühl gefordert. In dem Bereich ist der Ton dann auch sehr spitz, aggressiv und nur für sehr spezielle Sounds zu gebrauchen. Ideal ist eine Einstellung um 12 Uhr. Da klingt es erstaunlich rund und gar nicht so sehr nach Distortion Pedal.
Das Volume Poti arbeitet sehr ausgewogen über den gesamten Regelweg, hat allerdings nicht allzu hohe Volume Reserven. Vintage Style halt.
Bedeutend Unity Volume ist in etwa bei 15 Uhr. Volume voll auf, Distortion weit zurück gedreht, macht das Pedal auch als Booster eine erstaunlich gute Figur.
Für das Distortion Poti ist im Original Layout ein 100 kohm log Poti vorgesehen, das enormes Gain Potential bereit stellt. Auch da ist bis 9 Uhr soviel Zerre im Spiel, dass es schnell des Guten zuviel wird. Darüber hinaus wird der Sound schwammig und hat starke Fuzz Anleihen, die man mögen muss.
Ich habe gelesen, dass beim Entwurf des Layouts angeblich eine Verwechslung eines Widerstands (47 Ohm statt 470 Ohm) zur Folge hat, dass anstatt der gewünschten 50db Gain, 70db Gain zur Verfügung stehen!
Ich weiß nicht, ob da was dran ist, mir war das zuviel Distortion, habe das 100 kohm Poti gegen ein 50 kOhm Poti getauscht, somit die Gain Reserven begrenzt und auch einen gleichmäßigeren Regelweg erreicht.
So richtig einordnen im unendlichen Pool der Overdrive/ Distortion Pedale kann ich die Proco Rat nicht. Sie hat sich über die Jahre ihren eigenen Charakter bewahrt und kann auch gar nicht wirklich in eine Genre geschoben werden. Allzu gerne wollen wir ja klare Zuordnungen in allen Dingen des Lebens und hier ist das nicht so einfach möglich. Eigentlich ist die Rat technisch gesehen ein Hard Clipping Distortion Pedal und dennoch kann es je nach Einsatz Bereich als Booster, Mid Gain Overdrive oder Hardcore Distortion Zerre viele Sounds abrufen. Ähnlich einem Tubescreamer, beschneidet es etwas die Bässe und kann mit reduziertem Filter Poti tragende Riffs hervorrufen. Ich konnte selbst Klon- ähnliche Sounds (übrigens auch ein Hard Clipping Drive Pedal) der schwarzen Kiste entlocken, wenngleich auch mit stärkerer Färbung und anderem Mitten Spektrum.
Moderne Distortion Pedale haben eine oft bessere EQ Abteilung on Board, können wesentlich besser in Frequenzen angepasst werden, sind tighter, lauter und besser an Setups anpassbar. Die Rat ist da eigen in ihrem etwas kehligen Sound, eingeschränkter Tone Gestaltung und brizzeligem Timbre.
Ich mag ja starke Charaktere, auch wenn ich noch sehr hadere mit dem Tubescreamer, der ja auch so einen eigenen Charme mit sich bringt.
Perfekte Anwendung der Rat finde ich dennoch vor einem Marshall Style Amp platziert der im Breakup oder Mid Gain Bereich arbeitet und genau noch diese Schaufel Dreck benötigt, um rotzige Riffs und Solis ab zu feuern. Ich bin ja Kind der 80er und habe Bands wie Iron Maiden, Saxon oder Metallica im Kopf, die mit der Rat genau diesen eigenen brachialen Ton in ihren Songs verarbeiteten und deshalb entschieden, meine Rat Version in eine Rob Halford Judas Priest Leder/Nieten Optik ein zu kleiden. Ich bin auch großer Nuno Bettencourt (Extreme) Fan und begeistert von seinem klarem artikulieren Gitarrenspiel, das er ausschließlich aus einer Rat und einem Marshall Amp kitzelt. Er nutzt die Rat eher als Booster mit Volume auf 100%, Distortion sehr weit reduziert und hat trotz hoher Verzerrung einen durchsetzungsfähigen klaren Ton der sein Staccato-artiges Legato Spiel unterstützt.
Klar ist das nichts für jeden aber dennoch hat die Proco Rat einen festen Platz in der Pedal Welt und ist nach wie vor gefragt in vielen Genres. Nicht umsonst werden historische Original Rats für viel Geld im Netz gehandelt, wenngleich auch neue Ratten für unter 100€ neu erworben werden können.
Eigentlich sollte jeder Gitarrist mal eine Rat unter den Füßen gehabt haben und nur um sagen zu können...

 

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