Schon lange her, dass ich über einen Ampeg Gitarren Amp spielte. Erinnere mich aber noch gut daran, hatte dieses bleischwere, fast unerträglich laute 120W Röhren Combo Modell VT22 (4x 7027A Endröhren) einen ganz guten Verzerrer eingebaut. Prominente User des Modells waren in den 1970er Jahren zB. Keith Richards und Mick Ralphs. Der VT22 kann als Pendant zu dem Fender Twin Reverb gesehen werden. Des Verzerrers Bedienung bestand lediglich aus einem „Distortion“-Poti, da gab es dann auch nichts falsch zu machen. Heute, nach gefühlten 50 Jahren, will ich diesen 1977er Ampeg on-board Verzerrer einmal analysieren… schauen wir mal, ob er auch heutzutage noch brauchbar erscheint.

Eingangsverstärker

Der Eingangs-R R301 - Bild#1, ist mit 5,6MegOhm ungewöhnlich hochohmig. Auch andere Ampeg Amps dieser Zeit fuhren damit auf. Bei solch einem hohen Wert kann man bei direktem Gitarrenanschluss davon ausgehen, dass die Gitarrenelektrik nicht mehr zusätzlich belastet wird. Der Gewinn an Resonanzhöhe des Pickup gegenüber den üblichen 1MegOhm Eingangs-widerstand bleibt aber recht gering. Danach gelangt das Signal auch gleich auf ein Gitter der V1- eine 12DW7 Doppeltriode, genauer gesagt das Gitter der V1a. Die 12DW7 ist eine ungewöhnliche Röhre für einen Gitarrenamp - aber doch typisch für Ampeg, da von ihnen gerne in den 1970er Jahren verwendet. Diese ist jedoch keine (!) der üblichen Twin-Trioden wie zB die 12AX7 oder 12AY7, bei denen zwei identische Triodensysteme im Glaskolben vereint sind. Nicht so bei der 12DW7. Eine Triode (mit den Pins 6-7-8) entspricht dem high-gain Typ einer 12AX7, die verbleibende Triode (mit den Pins 1-2-3) entspricht die der low-gain Triode 12AU7. Verbreitung fand die 12DW7 hauptsächlich im Audio Einsatz; die high-gain Sektion besorgte die Verstärkung, die low-gain Sektion die Phasenumkehr als Kathodynstufe. Später wurde die Funktion der 12DW7 im Audio/HiFi Sektor durch die leistungsfähigere 6AN8A (Triode-Pentode, war übrigens auch die Treiberröhre der Endstufe im hier betrachteten ´77er VT22) oder durch den feinen Industrietyp 7199 (Triode-Pentode) ersetzt. Wie dem auch sei, die 12AU7 Triode eignet sich hervorragend wegen ihrer hohen Aussteuerbarkeit sowie geringen Innenwiderstandes als niederohmige Ausgangsstufe/ Treiber – so auch in unserem heutigen Verzerrer.
Der Arbeitspunkt der high-gain Eingangs-triode V1a (=12AX7-Typ) ist standard, nichts Außergewöhnliches gibt es zu berichten. Die low-gain Ausgangstriode V1b (=12AU7-Typ) wird mit Koppel-C angedockt. Also auch nichts Ungewöhnliches. Die Verstärkung der V1b ist nicht allzu groß – sie wird gering gehalten, denn der nicht kapazitiv überbrückte R10 bewirkt so eine Strom-Gegenkopplung. Trotzdem reicht die Gesamtverstärkung (45dB) dieser V1a + V1b Kaskade (die Verstärkungsfaktoren werden ja miteinander multipliziert) formal aus, um das Gitarrensignal zunächst einmal zu übersteuern. Doch der bis jetzt beschriebene (Basis-) Schaltkreis ist noch zusätzlich mit ein paar hinreißenden Details versehen, die diesen hörenswert erscheinen lassen.

Raffiniertes Gain

Damit der Schaltkreis, gebildet mit der V1a & V1b überhaupt im clean Betrieb nutzbar ist, muss eine „überalles“-Gegenkopplung eingebaut werden, welche das hohe „open-loop“ Gain auf ein praktikables Maß zurecht stutzt. Dazu schauen wir uns den Ausgang der V1b an. Das Signal geht drei Wege; in der Horizontalen – nach rechts, der Signalausgang zum Volume Poti. Der vertikale Weg nach oben, der Zweig „A“ führt zu der Parallelschaltung von dem „Distortion“ Stereo Poti mit zwei Ebenen, diese jetzt betrachtete Bahn hat 1MegOhm und heißt R103A. Die Photozelle, angesteuert im clean Betrieb durch eine stromführende LED, ist dann sehr niederohmig mit der Folge, dass diese Poti-Ebene kurzgeschlossen ist – also wirkungslos ist. Danach führt dieser Zweig „A“ über die Gleichstromsperre C101 zu dem Gegenkopplungs-widerstand R4 = 100kOhm. Und fertig ist die Gegenkopplungs Schleife, denn dieser R4 gelangt, wie zu sehen, mit seinem anderen Anschlussbeinchen direkt auf die Kathode der V1a. Zusammen mit dessen Kathoden-R R3 entsteht ein Spannungsteiler, welcher den Gegenkopplungsfaktor festlegt. Final entsteht so eine Gesamtverstärkung der Schaltung von etwa Faktor 30. Mit dieser Verstärkung bleibt die Signalverarbeitung dieses Arrangements für übliche Gitarrensignale im cleanen Bereich. Gut so.
Anmerkung: In diesem Betriebszustand bleibt der Nebenschluss zu dem Kathodenwiderstand R3 über R5-C2-R6 bedeutungslos. Nicht so im Zustand „Distortion“, da werden die Karten neu gemischt.

Distortion Mode

Wir schalten nun auf Distortion um und bleiben zunächst einmal bei dem Gain Zweig „A“ von am vorhin. Die LED P101 wird stromlos und dunkel, demzufolge der LDR sehr hochohmig, das Poti bleibt nun nicht mehr kurzgeschlossen, will sagen, es arbeitet in normaler Funktion. Die Pfeilrichtung über der Schleiferbahn zeigt an, wie der Schleifer zu bewegen ist, wenn der Effekt zunehmen soll. Bei niedriger Einstellung des Poti (Schleifer rechts) hat dieses einen sehr kleinen Wert, die Gesamtverstärkung des Arrangements erhöht sich nur wenig. Je mehr die Schleiferbahn hochohmig wird – das Poti wird aufgedreht, desto größer die Verstärkung der Schaltung. So weit so gut.

Distortion Zweig

Jetzt wenden wir uns dem Zweig „B“ zu, welcher für die eigentliche Verzerrung zuständig ist. Die „Distortion“ Stelleinrichtung besteht lediglich aus dem Poti - diesmal mit seiner Leiterbahn R103B, jetzt ein 100kOhm Typ. Am Fußpunkt noch ein kleiner Widerstand R110, damit das Signal nicht ganz auf „Null“ läuft beim Zurückdrehen des Potis. Der Schleifer führt jetzt auf einen elektronischen Schalter, realisiert wieder mittels LED + LDR, wie gehabt. Im Distortion Modus schaltet dieser „Schalter“ durch (LDR = niederohmig). Das Ausgangssignal lässt sich somit stufenlos über zwei Silizium clipping Dioden an dem Gegenkopplungspunkt einkoppeln. Wird der Spannungsabfall über den Dioden größer als die ihrer Schleusenspannung, schalten diese durch und das Ausgangssignal erscheint mehr oder weniger abgesenkt – abhängig von der Stellung des „Distortion“ Poti, am Gegenkopplungs Eingang, um die Eingangsspannung, anstehend am Gitter der V1a, zu reduzieren. Dadurch stellt sich eine Abflachung des Ausgangs Signals ein.
Man sieht jetzt noch etwas – zwar nicht direkt, aber nach ein paar Minuten Bedenkzeit über die Wirkungsweise des Distortion Arrangements – ja, man erkennt, dass die beiden Zweige „A“ & „B“ eigentlich parallel liegen. Ein Punkt ist der Ausgang der V1b, der zweite Punkt ist die Einspeisung in den „Minus“-Eingang der Schaltung (Kathode V1a), an welchem die Gegenkopplung anliegt. Jetzt muss aber der Groschen fallen … Nein? … Schauen wir uns dann einfach die Übertragungs Kennlinie - Bild#2, an – oh, dieser Verlauf ist uns prinzipiell nicht unbekannt!

Ach ja!

Dieser von Ampeg „Distortion“ genannte Schaltkreis ist in etwas modernerem Terminus gesprochen formal ein Overdrive! Ein tolles Röhren Overdrive Design. Und der wurde bei dem Ampeg Modell VT22 (Combo) und anderen zB V4 (Head), im Jahr 1976 eingeführt. Tja Freunde, dieser Röhren Overdrive war dann noch vor den üblichen Halbleiter Overdrives auf dem Markt. Zwar nicht wie diese Treter als 9Volt Pedal, aber als real existierende Röhren Schaltung in Ampeg Amps. Ein Wermutstropfen hat aber dann der Ampeg Verzerrer/ Overdrive doch noch! Er beinhaltet keine Hochpass Funktion wie seine späteren Halbleiter Brüder - wäre von großem Vorteil gewesen. Naja, kann man ja nachrüsten – ist ja kein großer Act…

2020 05 07


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